als Abwehrphantasien gegen den drohenden Zusammenbruch des Selbst gedeutet.
Hier soll Werthers Charakter im Vergleich mit dem Alberts gesehen werden. Ein größerer Gegensatz ist kaum denkbar.
Lange Zeit versucht Freund Wilhelm, Werther für eine geregelte bür-gerliche Tätigkeit zu gewinnen. Werther im Brief vom 20= Julius:

Eure Idee will noch nicht die meinige werden, daß ich mit dem Gesandten nach*** gehen soll. Ich liebe die Subordination nicht sehr, ... Meine Mutter möchte mich gern in Aktivität haben, sagst du, das hat mich zu lachen gemacht. Bin ich jetzt nicht auch aktiv? und ist's im Grunde nicht einerlei, ob ich Erbsen zähle oder Linsen? ... (WA I, 19, 56).

Mit der „Aktivität" Werthers scheint es aber so eine Sache zu sein.
Am 24. Julius schreibt er an Wilhelm:

Da dir so sehr daran gelegen ist, daß ich mein Zeichnen nicht vernachlässige, möchte ich lieber die ganze Sache übergehen als dir sagen, daß zeither wenig getan wird. ... (WA I, 19,
57)

Die Stelle beim Gesandten, die Werther schließlich doch annimmt3 um dem Konflikt mit Lotte und Albert zu entgehen, gibt er nach einem halben Jahr wieder auf.
Der Anlaß ist eine Kränkung in einer adeligen Gesellschaft. Werther war unaufgefordert in einem geschlossenen Kreis geblieben und wurde vom Gastgeber hinauskomplimentiert. Die Schuld daran gibt er im Brief vom 15. März allerdings nicht sich selbst, sondern seinem Freund Wil-helm und seiner Mutter:

Ich habe einen Verdruß gehabt, der mich von hier wegtreiben wird. Ich knirsche mit den Zähnen! Teufel! er ist nicht zu ersetzen, und ihr seid doch allein Schuld daran, wie ihr mich sporntet und triebt und quältet, mich in einen Posten zu begeben, der nicht nach meinem Sinne war. Nun habe ich's! nun habt ihr's!

In dieser Szene zeigt sich nicht nur die Empfindlichkeit und enorme Kränkbarkeit Werthers, sondern auch seine infantile Persönlichkeit, die nicht bereit ist, Verantwortung für ihr Tun zu übernehmen, schnell auch Aggressivität in Autoaggressivität umkehrt. Und so heißt es in der Schlußpassage des Briefes:

Und da man nun heute gar, wo ich hintrete, mich bedauert, da ich höre, daß meine Neider nun triumphieren... - da möchte man sich ein Messer ins Herz bohren; ... (WA I, 19, 104)

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