Einen Hinweis auf das Trauma symbolisieren später auch die kurzfristig auftretenden „SIEBEN-MEILENSTIEFEL" (nach10066) im vierten Akt des „Faust 2“. [27] Von diesen steigt Mephisto (Goethes alter ego), ab. Möglicherweise handelt es sich dabei um einen Ortshinweis auf das Vaterhaus am Hirschgraben 23? Die Siebenmeilenstiefel sind die Stiefel des Kinderfressers Oger aus dem Märchen „Der kleine Däumling“. In den Stiefeln rennt der Däumling nach Hause. Oger, eine den Tod androhende, schreckliche Vaterimago, hatte sieben Kinder und bedrohte Däumling und seine sechs Geschwister; auch Goethes Vater hatte sieben Kinder (die Totgeburt mitgerechnet). Beide Vaterimagines bedrohten demnach Kinder mit Todesangst. Goethe war von den Goethe-Kindern das größte und älteste. Den Däumling benutzt Goethe in „Faust 2“ vermutlich als Umkehrung des Größenverhältnisses. [28]
3. Die dritte versteckte Angelegenheit (Erlebnisse F) bezieht sich auf das berühmte Puppentheater, das Goethe und seine Schwester in der Kindheit von der Großmutter geschenkt bekamen. Dieses tritt auf in „Faust 1“ (Tiedemann, 2010, S. 11–13) als Dilettanten-Theater, das von Dilettanten gespielt wird. [29] Die Einführung dieses Dilettanten-Theaters am
[27] Bei R. Scholz (2011)
geschlechtsreif (Halbhexen? vor 4004), ängstlich nachts im Hause schleichend vorstellen (mit einem flackernden Kerzenlicht in der Hand?). Goethe als Ältester als eine Art Hexenmeister (vor 3977), Chef des munteren (Kinder-)Klubs (4035)? So manch eines der kleineren Geschwister wird hinterhergetrippelt (4004) sein, zum Beispiel im Treppenhaus. Möglicherweise gab es auch eine Aufteilung in Jungen und Mädchen („Halbes Chor“ vor 3977)? Da es hier vermutlich um Kindheitserinnerungen geht, kommt eventuell als Erklärung für die Bezeichnung „Chor“ hier in Betracht: Goethes Vater war Musikliebhaber und dies auch für Hausmusik, er sang zum Beispiel täglich gern (zu 14): Man kann vermuten, dass beide Eltern auch den Kindern Lieder beibrachten und diese so manches Mal einen kleinen Kinderchor bildeten. 145-Wö
[29] Diese Hommage an seine Großmutter tritt wieder auf im „Faust 2“, 4. Akt als Die drei Gewaltigen. Es sind „Burschen“ von Mephisto (10323). Sie haben simple Namen: RAUFEBOLD, HABEBALD, HALTEFEST (vor 10323) und später EILEBEUTE (10783), Figuren wie für ein Kinderpuppenspiel. Faust (zu Mephisto) gibt hierzu einen versteckten Hinweis auf den Blocksberg:
(10320) Hast Du das Bergvolk aufgeregt [ im Sinne: wieder mobilisiert? Anmerkung Verf.]
MEPHISTOPHELES darauf (10321 f.):
„Nein! aber, gleich Herrn Peter Squenz,
[…] davon die Quintessenz“. Schöne (A. Schöne; Komm. S. 668) meint, in Mephistos Antwort darauf stecke eine Anspielung auf ein Schimpfspiel von 1657 „Herr Peter Squenz“ und die darin vorgestellten dilettierenden Schauspieler . Damit ist von Goethe eine Assoziation mit dem Dilettanten-Theater, Kinderpuppentheater des Blocksbergs gesetzt: Diese Puppennamen im „Faust 2“ fallen auf wie ein Obelisk im Wohnzimmer. Es ist damit auch im „Faust 2“ eine auffallende dankbare Erinnerung Goethes an seine Großmutter und ihr Weihnachtsgeschenk. Und offenbar: „allegorisch wie die Lumpe sind“ (10329), auch eine Erinnerung an den Lumpenhund des ersten Aktes in „Faust 2“ und damit an die Hexenküche?